Der erste Pecco.

Humoreske von Teo von Torn
in: „Trierische Landeszeitung” vom 03.06.1904


Die kleinen Schmollszenen, welche in den Flitterwochen, ja vielfach sogar schon während der Brautzeit sich abspielen, werden von unkundigen Menschen als belanglose Wetterschwankungen angesehen.

Das ist ein Irrtum! Das Muckschen und Mäulchenziehen, die feuchten Niederschläge usw. sind durchaus nicht bloß die Mittel zum Zweck des Versöhnens oder das Salz und die Würze der Liebe, wie viel glauben. Es ist ja richtig, — ein frischer, kleiner Streit wirkt in Sachen der Liebe häufig als Geschmackskorrigens, wie beispielsweise ein Klack Mostrich den Geschmack einer flau gesalzenen Wiener Wurst sehr wesentlich verbessert. Aber der Urgrund aller Flitterwochenzwiste liegt tiefer. Auch der unbedeutendste ist ein Scharmützel, ein ernstes Vorpostengefecht, das mitentscheidet über Sieg oder Niederlage — in dem großen Kriege, den man Ehe nennt.

Ottfried von Wietersleben hatte auf der Kriegsschule in der Strategie glänzend abgeschnitten. Während andere Fähnriche noch keine drei Mann über einen Rinnstein führen konnten, hatte er bereits mit Brigaden und Divisionen operiert, als wenn es Murmeln wären. Auf dem Papier natürlich — aber das will nichts sagen; die meisten Schlachten werden heute auf dem Papier geschlagen. Und was der Fähnrich versprochen, das hatte der Leutnant gehalten. Sein neulicher Vortrag im Kasino über „Die Burentaktik mit besonderer Berücksichtigung der Verwendung der Kavallerie im gedeckten Gelände” hatte ihm neben den wohlwollenden Händedrücken seiner Vorgesetzten die Anwartschaft auf den Besuch der Akademie eingetragen.

Es ist nun eins der vielen ungelösten Lebensrätsel, wie ein Stratege von solcher Kapazität sich im Kriegsspiele seiner jungen Ehe so unterkriegen lassen konnte, wie das bei Leutnant von Wietersleben der Fall war. Er hatte noch nicht einmal einen richtigen Kampfplan entworfen, da sah er sich bereits auf der ganzen Linie bedroht. Die kleine Frau hatte — ehe noch der Krieg erklärt war — mit echt japanischer Geschicklichkeit alle Minen des Schmeichelns und Schmollens spielen lassen und die starken Vorsätze seiner Herrennatur einzeln in den Grund gebohrt, ehe er das überhaupt bemerkt.

So war denn auch der Ausgang der vorliegenden Streifrage, welche sich um den neuen Burschen drehte, nicht zweifelhaft. Leutnant von Wietersleben kämpfte zwar noch, — aber mit dem lähmenden Gefühl der Aussichtslosigkeit. Einen letzten Ansturm wollte er noch wagen. Er wies den Dragoner, welcher mit allen Merkmalen eingeborener Begriffsstutzigkeit neben der Tür stand und sich verlegen am Reitleder kraute, hinaus, schob die Hände in die Taschen — was einen männlichen Eindruck macht — und räusperte sich stark.

„Mein liebes Kind, ich habe Dich in einer Angelegenheit, welche im Grunde meiner alleinigen Entscheidung unterliegt, zu Rate gezogen —” — „Wie sich das gehört,” unterbrach die kleine Frau mit einer eigensinnigen Bewegung des blonden Köpfchens. „Also schön — wie sich das gehört. Ich habe Dir zwei intelligente Kerle vorgestellt. Davon ist der eine Barbier, der andere hat sogar schon in herrschaftlichen Häusern gedient, was für uns und unsere gesellschaftlichen Pflichten von besonderer Wichtigkeit ist, da wir uns leider nur ein Mädchen leisten können —”

„Es ist sehr unrecht, Friedl, mir immer vorzuhalten, daß Papa die ganze Mitgift noch nicht hat auszuahlen können!”

Leutnant von Wietersleben zog eine nervöse Grimasse, aber er beherrschte sich. „Es fällt mir nicht ein, Dir das vorzuhalten. Ich will nur sagen, daß wir einen Menschen brauchen, der ein wenig Schliff hat. Wir haben in drei Tagen unseren ersten Pecco zu geben. Der Bursche muß mit aufwarten. Wenn er das nicht kann, dann blamieren wir uns, und das ist bei einer ersten Gesellschaft, die man gibt, sehr unangenehm. Ich bitte Dich also, so herzlich ich kann — laß uns den herrschaftlichen Diener nehmen!”

„Aber Friedl, ich mag ihn doch nicht! Dem Menschen fehlt ja vorne ein Zahn —”

„Ich werde ihm den Zahn einsetzen lassen.”

„Außerdem stößt er mit der Zunge an — und das ist mir entsetzlich.” — „Gut, dann nehmen wir also den Barbier.”

„Den mag ich erst recht nicht. Bartputzer haben immer so fettige Finger.” — „Er wird sie sich waschen.” — „Trotzdem. Ich mag nicht. Du sollst mich nicht quälen. Ich bekomme schon wieder Kopfweh.”

Zur Bekräftigung dessen stützte sie die Stirn in beide Hände. Leutnant von Wietersleben beherrschte sich abermals; nur seine Hände zuckten zu einer wilden Geste auf, als er sagte: „Aber so erkläre mir doch, Kind, weshalb versteifst Du Dich gerade auf diesen ausgemachten Trottel, den ein widriges Geschick mir ein einzigesmal als Ordonnanz ins Haus geschickt hat! Ich kenne den Kerl genau. Ich habe ihn — Gott sei's geklagt — in meinem Offizierberitt. Der Mensch ist nur deshalb zu den Soldaten genommen worden. weil sämtliche Idiotenanstalten augenblicklich überfüllt sind!”

„Das sagst Du nur, weil Du nicht willst, daß ich auch mal meinen Willen durchsetze,” schluchzte Frau Hella v. Wietersleben. Ihre Stirn wurde nur noch von der linken Hand gestützt. Die rechte tastete nach ihrem Taschentuche. Das war eine der vielen Mienen, welche auch die stärksten seiner Vorsätze in den Grund gebohrt. Er zog einen Stuhl heran und nahm beide Hände seiner Frau.

„Nicht weinen, Kleinchen. Nur das nicht. Du sollst Deinen Willen haben — wie immer. Ich habe den meinigen anscheinend mit dem „ja”, das ich vor knapp drei Monaten in der Kirche gesagt, aufgegeben. Deshalb darfst Du es aber auch nicht so hinstellen, als wenn ich ein Tyrann wäre. Ich werde den Bogislav Machulke — igitt, schon dieser Name! — als Burschen nehmen. Aber sage mir doch wenigstens, weshalb Du gerade dieses Rindvieh bei beiden Hörnern festhältst!”

„Er hat so treue Augen —”

„Treue Augen. Jawohl. Besonders das rechte. Auf dem schielt er nämlich ein wenig. Ich weiß nicht, ob Dir bekannt ist, daß nach dem neuesten Stand der Wissenschaft die Augen aufgehört haben, ein Spiegel der Seele zu sein. Es ist nachgewiesen, daß die charakteristischen Linien auf der Regenbogenhaut nicht Nervenstränge, sondern lediglich Blutgefäße sind. Und damit fällt die ganze Hypothese. Die Treue besteht also vorläufig nur in Deiner Einbildung, während die Borniertheit fürchterliche Gewißheit ist. Aber trotzdem — —”

Drei Tage hatte Leutnant von Wietersleben gebraucht, um den Mann mit den treuen Augen für den Pecco zu dressieren. Am letzten Tage vor dem großen Ereignisse hatte er sich für diesen Zweck sogar vom Dienst dispensieren lassen. Und eine halbe Stunde vor dem Eintreffen der ersten Gäste hatte Bogislav Machulke immer noch Instruktion. „Sie treten also von links an den Gast heran, verstehen Sie? Immer von links! Und daß Sie mir nicht mit dem Daumen in einen Teller oder eine Sauciere fuhrwerken! Ich stecke Ihnen eine Lyditpatrone in das rechte Nasenloch, wenn Sie sowas machen. Sie nehmen beim Servieren die Schüssel oder Platte so, daß sie fest auf der ausgestreckten linken Hand ruht; die rechte legen Sie dabei auf den Rücken. Wo halten Sie also die rechte Hand?”

„Auf dem Rücken, Herr Leutnant.”

„Und Sie haben sonst alles begriffen?”

„Zu Befehl, Herr Leutnant.”

Ottfried von Wietersleben schaute noch einen Moment unter bangen Zweifeln in die treuen Augen. Dann ging er davon, sich umziehen.

Er war sehr bedrückt in seinem Gemüte. Und nicht Machulkes wegen. Die kleine Frau hatte ihren Willen durchgesetzt, alles allein zu besorgen. Jedes Hineinreden hatte sie sich als einen Uebergriff in ihr Ressort verbeten. Da sie aber ein viel zu kleines Köpfchen für so viele Gedanken hatte, konnte auch von dieser Seite Unheil drohen. Und das sollte sich leider bestätigen.

Die Kommandeuse, Frau Oberst Gräfin Rühl, war schon etwas indigniert, als sie den Aufwand bemerkte, den das jüngste verheiratete Leutnantspaar sich geleistet. Sie war eine heftige Gegnerin des Luxus in der Armee. Einmal weil man von oben her gegen diesen Luxus angeeifert wurde, und dann auch, weil sie von Natur sparsam war. Sie empfand es als eine Ueberhebung, daß ein Leutnant bei einem gewöhnlichen Pecco Lachsforellen auftischte, während sie selbst bei ihrer letzten Gesellschaft Scholle mit Senfbutter gegeben hatte. Und Frischlingskeule! Ein solider Kalbsbraten hätte es auch getan. —

Sie legte das Menü bei Seite und wollte sich eben an ihren Tischherrn, den Leutnant von Wietersleben, mit einer diesbezüglichen Bemerkung wenden, als sie heftig zusammenzuckte und sich mit einem Zischlaute der Empörung aufrichtete. Bogislav Machulke hatte die Forellen serviert — und zwar nach Vorschrift: die Linke unter der silbernen Platte, die Rechte auf dem Rücken — aber nicht auf seinem, sondern auf dem Rücken der Kommandeuse — — Nachdem sich die allgemeine, etwas gekniffene Heiterkeit ob dieses Mißverstöndnisses gelegt und Leutnant von Wietersleben wieder aufzuschauen wagte, sah er den Blick seiner kleinen Frau so ratlos, so hilfeflehend auf sich gerichtet, daß er eine freie Sekunde benutzte, um zu ihr zu gehen.

„Allmächtiger Gott,” hauchte sie. „Friedl, erbarm Dich — mir fällt eben ein, daß ich vergessen habe, Käse besorgen zu lassen!”

„Da haben wir die Geschichte!” ächzte der Unglückliche. Einen Augenblick schwankte er, ob er nicht selbst davonrennen sollte, um dieses unerläßliche, als Magenschluß besonders von dem Major von Limar beliebte Genußmittel zu beschaffen. Aber das ging nicht. Die Kommandeuse schaute nach ihm aus. Sie schien sich bereits vernachlässigt zu fühlen. Deshalb nahm er den verstörten Machulke bei Seite und raunte ihm zu: „Schicken Sie sofort die Marie aus der Küche herein. Sie selbst laufen, so schnell Sie Ihre Beine tragen, zum nächsten Krämer und holen Käse! Was Sie kriegen können, Ganz egal! Nur schnell! Und legen Sie den Käse gleich auf die Schüssel, welche mit Butter und Radieschen schon bereit steht. Ich verzeihe Ihnen Ihre Borniertheit von vorhin, wenn Sie das gut und schnell besorgen. Marsch!”

Das Essen nahm seinen Fortgang — und nachdem das Fürst Pücklereis verzehrt war, wurde auch ein mächtiger Kanten Käse — anscheinend Roquefort — serviert. Man nahm davon nicht viel, weil man sich an den anderen guten Dingen reichlich satt gegessen hatte. Nur der Major von Limar aß seiner Vorliebe entsprechend ein bedeutendes Stück. Er schmeckte jedoch verdächtig daran herum, machte eine krause Nase, roch und schmeckte wieder. Auch die anderen kauten mit langen Zähnen. Als die Kommandeuse ein Häppchen gekostet, spie sie es sofort wieder in ihre Serviette. In demselben Augenblick erhob sich der Major von Limar, preßte die Serviette gegen den Mund — und es machte den Eindruck, als wenn er derselben noch viel mehr anzuvertrauen hätte, wie die Frau Oberst. Mit einem dumpfen Laute, der halb Stöhnen, halb Rülpsen war, stürmte er hinaus.

„Um Gotteswillen, Herr Major, was ist Ihnen!” rief Leutnant von Wietersleben, der pflichtschuldigst die schweißbedeckte Stirn des Vorgesetzten hielt, obwohl ihm selbst nicht gut war.

„Aetsch — — Deiwel noch eins —” schalt und spuckte der Major; „wollen uns wohl vergiften! Gegen den Roquefort ist ja ein faules Ei 'ne Delikatesse! Stellen Sie um Gotteswillen fest, was das ist — damit man weiß, wie lange man überhaupt noch zu leben hat: Aeääätsch — — uuuuuuuuh — brrrrr — — — ”

Der Ort, an dem diese Unterhaltung stattfand, wurde allmählich auch von anderen Gästen gestürmt. Der Leutnant entschuldigte sich, so gut er konnte, und sagte sofortige Untersuchung zu. Da aber niemand auf ihn hörte und die allgemeine Uebelkeit immer weiter um sich griff, erwischte er Bogislav Machulke bei einem Ohr und eilte mit ihm und dem Rest des Käses die Treppe hinab. „Wo also haben Sie das Teufelszeug gekauft?”

„Gleich das nächste Haus, Herr Leutnant,” stammelte der Bursche, indem er die treuen Augen schmerzhaft zukniff, „da war so schöner Käse im Schaufenster, und davon habe ich mir geben lassen.”

„Sagen Sie mal,” schnaubte der Leutnant den heranschwänzelnden Kommis an. „Was haben Sie mir hier für einen Käse verkauft?!”

„Käse —?! Bedaure sehr, Herr Leutnant, Käse führen wir gar nicht.”

„Aber dieser Kerl hat ihn doch eben von Ihnen geholt.”

„Ganz recht. Geholt hat der Bursche etwas. Aber das war nicht Käse, sondern Bärme — oder auch Hefe, wie man so sagt. Wir führen nur Hefe. Herr Leutnant.”

Es dauerte geraume Zeit, ehe Leutnant von Wietersleben sich wieder nach Hause traute. Seiner Frau aber schwur er, daß die treuen Augen von Bogislav Machulke ihn nicht hindern würden, diesen zum Frühstück und zum Abendbrot mit dem bewußten Käse zu füttern, bis er aufging, wie ein Bärmebrot.

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